Ausgewählte Erwerbungen der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen
(1701 - 1800)
Anfangsgründe zur Zeichnungskunst vor Anfänger in XX Kupferrissen bestehend. Nürnberg: Christoph Riegels seel. Witt, 1768.
(Erworben von der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Signatur: DD2021 B 3)
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Die „Anfangsgründe zur Zeichnungskunst vor Anfänger“ führen Leserinnen und Leser in insgesamt 19 Kupferstichen, die als Anleitung und Vorlage dienen, schrittweise in die Porträtzeichnung ein. Auf eine Tafel zu den grundlegenden Linienkonstruktionen folgend lehren die ersten Kupferstiche das Zeichnen von Augen, Ohren und Kinn und schließlich des ganzen Kopfes in verschiedenen Profilansichten. Die Motive sind dabei auf den Tafeln jeweils mehrfach dargestellt und reichen vom einfachen, mit Hilfslinien ausgestatteten Umriss bis zur mit Details versehenen Zeichnung. Daraufhin wird sich, nun ohne Hilfslinien, den menschlichen Gliedmaßen gewidmet. Schülerinnen und Schüler der Zeichenkunst können auf den nachfolgenden Tafeln die Darstellung von Händen, Füßen, Armen, Beinen und eines Torsos, je in verschiedenen Haltungen, und abschließend einen männlichen Akt studieren. Mit Tafel 13 führt der Druck Figuren mit Kreuzschraffur ein und stellt sie neben ihre umrisshafte Ausführung. Auch hier beginnen die Tafeln mit Köpfen und Gesichtern und führen über einzelne Gliedmaßen zum männlichen Torso. Den Schluss bilden zwei schraffierte Stiche, die das vorher Geübte in Gestalt eines auf einen Felsen gestützten Mannes und eines Posaune blasenden Engels zusammenführen.
Der Druck reiht sich damit ein in die Gattung der Zeichenlehrbücher, die im 16. Jahrhundert aufkam und die trotz ihrer weiten Verbreitung bislang in der Kunstgeschichte recht wenig Aufmerksamkeit erfuhr. Die Anordnung der Tafeln folgt dabei der sogenannten ABC-Methode, wie sie, schon im 15. Jahrhundert beschrieben, auch heute noch praktiziert wird, und lässt den Schüler das Zeichnen einzelner Körperteile sukzessive einüben und seine „Zeichnungskunst“ so erweitern.
Besitzer dieses Zeichenlehrbuchs war, wie sich anhand einer handschriftlichen Eintragung auf dem Titelblatt rekonstruieren lässt, Wilhelm von Schaumburg-Lippe (1724–1777). Vor allem bekannt als Heerführer im Siebenjährigen Krieg und als Militärtheoretiker wird ihm auch ein Sinn für Kunst und Wissenschaft nachgesagt; so soll er selbst Zeichenkunst betrieben haben und ein „trefflicher Zeichner“ gewesen sein. Als solcher erwarb er offenbar in seinen späteren Lebensjahren, die er der Regierung der Grafschaft in Bückeburg widmete, die „Anfangsgründe zur Zeichnungskunst“.
Erschienen war der Druck bei „Christoph Riegels seel. Witt“. Dahinter verbarg sich Susanna Dorothea Riegel (1704–1774), die das bekannte Verlagsgeschäft der Familie in Nürnberg zunächst gemeinsam mit ihrem Mann (1687–1748) und über dessen Tod hinaus noch weitere 25 Jahre führte. In diese Jahre fiel auch die Veröffentlichung der „Anfangsgründe zur Zeichnungskunst“, die im Jahr 1768 zur Ostermesse in Frankfurt und Leipzig erschienen und von denen heute weltweit kein zweites Exemplar in einer öffentlichen Sammlung nachgewiesen ist.