Ausgewählte Erwerbungen der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
(1601 - 1700)
Friedrich Spee von Langenfeld: Außerlesene/ Catholische/ geistliche Kirchengesäng : von Pfingsten/ biß zum Aduent/ [et]c. Weinacht Jubel/ [et]c. Fasten gesäng/ [et]c. Oster Jubel/ [et]c. Wallieder/ [et]c. Vnd Allerley durch das gantze Jahr zu singen. Gedruckt zu Cölln, Bey Peter von Brachel, 1623.
Erworben von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (Xb 12° 541)
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Das seit dem frühen 20. Jahrhundert verschollene Kölner Gesangbuch gilt als prägend für die Geschichte des katholischen Kirchengesangs, insofern es einem neuen Liedstil zum Durchbruch verhalf und zahlreiche neue Lieder in die Gesangbuchüberlieferung einbrachte. Sein Herausgeber, der aus Köln stammende Jesuit Friedrich Spee von Langenfeld (1591–1635), ist bekannt für seine kritische Einstellung zu den Hexenprozessen, die er in der 1631 anonym erschienenen Cautio criminalis begründete. Zugleich war Spee ein bedeutender Vertreter der deutschen Barocklyrik, was sich in seiner 1649 unter dem Titel TRVTZ NACHTIGAL, Oder Geistlichs-Poetisch LVST-VVALDLEIN erschienenen Sammlung von 51 geistlichen Gedichten manifestiert. Dass Spee zahlreiche Kirchenlieder dichtete, ist der Forschung seit langem bekannt. Weil Spee wie im Jesuitenorden üblich anonym publizierte und Gesangbücher altes und neues Liedmaterial mischten, muss die Zuschreibung für jedes Lied einzeln nach inneren Kriterien erfolgen. Durch die herausragende Qualität von Spees Lyrik ist dies für die im Kölner Gesangbuch von 1623 veröffentlichten Lieder ohne erkennbare ältere Vorlagen mit einiger Sicherheit möglich. Als Merkmale von Spees Stil gelten die perfekte Verfertigung von Rhythmus und Reim, eine klare inhaltliche Struktur und Logik, schlichte Formulierungen, die in Parallelstrukturen variiert werden, sowie das Spiel mit sprachlichen Figuren. In Spees Liedern stellt üblicherweise ein lyrisches Ich einen direkten, meditativen Bezug zur besungenen Realität dar. Biblische Bilder und theologische Aussagen sind integraler Bestandteil des Textes. Ein bekanntes Beispiel aus dem Kölner Gesangbuch ist das Adventslied O Heyland reiß die Himmel auff (S. 81) – laut dem Spee-Forscher Theo G. M. van Oorschot „Das Muster eines Speelieds überhaupt“. Ob Spee auch Melodien zu seinen Liedtexten komponiert hat, bleibt unklar; zumindest scheint er Versatzstücke kombiniert und ergänzt zu haben. Als Herausgeber des Gesangbuches kommt wiederum nur Spee in Frage.
Während das deutschsprachige Kirchenlied noch im 17. Jahrhundert nur unter Vorbehalt in der Messe akzeptiert wurde, hatten die Jesuiten schon früh das große Potenzial dieser Praxis für die Katechese und emotionale Einbindung der Laien entdeckt. Auch die Vorrede zum Kölner Gesangbuch zeigt, dass Spee die emotionale Wirkung von Liedern hoch einschätzte. Er erklärt es zum Ziel des Werks, dass die „kleine kinder […] gleich wie die Vögelein mit einem Pfeifle/ also zur Christlichen Kinder=Lehr gelockt“ würden, und dass sie „Himmlische ding/ gleich als Zucker vnd Honig im Mund käwen“. Inwiefern die nach dem Kirchenjahr arrangierten Gesänge auch in der Messe gesungen werden sollten, bleibt dabei offen.
Ein Exemplar des Brachelschen Gesangbuchs befand sich Ende des 19. Jahrhunderts im Besitz des Gymnasiallehrers Georg Hölscher in Recklinghausen, wo es unter anderem von dem katholischen Kirchenliedforscher Wilhelm Bäumker ausgewertet wurde. Es ist nicht identisch mit dem jetzt erworbenen, wie die nirgendwo erwähnte zweite Beibindung (Vom Leben Vnd Wunderzeichen der heyligen vnd würdigen Theresæ, Von Iesv, Stiffterin der Discalciaten Carmeliten : Zwey newe Lieder. Köln: Peter Brachel 1622) zeigt. Die erste Beibindung, eine Sammlung von zwölf Liedern zu Ehren der Heiligen Ignatius und Franz Xaver (ebenfalls 1622 von Peter Brachel verlegt und bislang verschollen), war hingegen auch Bäumker bekannt. Das neu aufgetauchte Exemplar wurde laut Besitzvermerk 1629 vom Kölner Jesuitenkolleg erworben, an dem Spee bis 1610 Schüler gewesen war.
Eine Rekonstruktion des verlorenen Gesangbuchs publizierte van Oorschot 2004 im vierten Band seiner Spee-Ausgabe. Sie beruht zum großen Teil auf den älteren Vorabveröffentlichungen von Teilen des Gesangbuchs, die Spee 1621 und 1622 in Würzburg publizierte. So konnten alle 93 Melodien sowie 111 von 119 Texten, die Bäumker aufführt, von Oorschot identifiziert werden. Der Abgleich dieser Rekonstruktion mit dem wieder aufgefundenen Gesangbuch dürfte für die an Spee und dem katholischen Kirchengesang interessierte Forschungscommunity von besonderem Reiz sein. Hierzu wird der Druck in Kürze digital zur Verfügung gestellt. Eine erste Sichtung zeigt die große Genauigkeit der Rekonstruktion, die sogar die Orthographie des Originals mit einbezieht. Das Inhaltsverzeichnis führt 118 Lieder auf. Acht Lieder, die in dem Gesangbuch vermutet wurden, konnten nicht aufgefunden werden, während 13 darin vorhandene Lieder nicht Teil der Rekonstruktion sind. Dabei handelt es sich offenbar durchgehend um ältere Lieder, die nicht von Spee stammen. Dazu gehören das auf Martin Luther zurückgehende Gelobet seystu Jesu Christ (S. 132) und das lateinische Weihnachtslied Resonet in laudibus (S. 129, deutsch: Joseph, lieber Joseph mein). Auf Identifikation warten drei mit Noten versehene Stücke: Das kurze lateinische Ave Maria (S. 62), ein „Posaun“ überschriebener Ruf mit dem Text „Alleluia“ und „Erstanden ist der heylig Christ“ (S. 154) und die Letaney Von vnser lieben Frew zu Loreto, beginnend „Kyrie eleison“ (S. 211).
Der kleinformatige Sammelband mit den drei Liederbüchern konnte im Frühjahr 2022 von der Herzog August Bibliothek für die Sammlung Deutscher Drucke ersteigert werden.