GSB 7.1 Standardlösung

Ausgewählte Erwerbungen der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel

(1601 - 1700)

Johann Matthiae: Grammatica Principum Sive Facilis & compendiosa Ratio Discendi linguæ Latinæ Præcepta, In Usum Serenissimi Principis Caroli Josephi Archiducis Austriæ, In hanc formam redacta. Viennæ: Typis Matthæi Cosmerovii, S.C.M. Typographi [1660?]. VD17 23:757225F.
Erworben von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Signatur Xb 12° 582.

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Titelblatt: Johann Matthiae: Grammatica Principum Sive Facilis & compendiosa Ratio Discendi linguæ Latinæ Præcepta. Johann Matthiae: Grammatica Principum Sive Facilis & compendiosa Ratio Discendi linguæ Latinæ Præcepta, In Usum Serenissimi Principis Caroli Josephi Archiducis Austriæ, In hanc formam redacta. Viennæ: Typis Matthæi Cosmerovii, S.C.M. Typographi [1660?]. VD17 23:757225F. 
Erworben von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Signatur Xb 12° 582.

Diese kleine Einführung in die lateinische Grammatik gibt sich im Titel als Fürstengrammatik für den jung verstorbenen Habsburger Karl Joseph (1649–1664), Sohn Ferdinands III. aus zweiter Ehe, aus. Der Band weist kein Veröffentlichungsdatum auf, doch spricht der Umstand, dass Karl Joseph lediglich mit dem seit dem 14. Jahrhundert für alle habsburgischen Prinzen gebräuchlichen Titel Archidux (Erzherzog) bezeichnet wird, vielleicht für eine Publikation vor dem 20. November 1662, als er dreizehnjährig Fürstbischof von Passau und Hochmeister des Deutschen Ordens wurde (vgl. A. Leidl, Karl Joseph, Erzherzog von Österreich, in: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reichs 1648 bis 1803, hg. v. E. Gatz, Berlin 1990, S. 217f.). Auch der Verfasser wird weder auf dem Titelblatt noch sonst in dem Band namentlich genannt. Wie der Textvergleich zeigt, handelt es sich in Wahrheit um einen ‚umgewidmeten‘ Nachdruck der ursprünglich für Königin Christina von Schweden (1626–1689) verfassten Ratio discendi linguam latinam pro Christina … regina designata des Johann Matthiae (1592–1670), die erstmals 1635 in Stockholm gedruckt wurde (vgl. I. Collijn, Sveriges Bibliografi 1600-talet, Bd. 1, Uppsala 1942–1944, Sp. 595). Diese Grammatik wurde unter dem Titel Grammatica regia … pro Christina regina mehrfach neu aufgelegt, so 1650 in Leiden (z. B. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, QuN 776 [1]), 1798 in Stockholm, 1728 in Gera und 1770 in Venedig. Ferner gibt es eine undatierte Ausgabe ohne Angabe des Druckortes (z. B. Forschungsbibliothek Gotha, 01 - Lr. 8° 00501 [03]).
Inhaltlich stimmt die Grammatik für Karl Joseph mit der Ratio discendi linguam latinam bzw. Grammatica regia vollständig überein; es fehlt lediglich die an Christina von Schweden gerichtete Widmung Matthiaes. Der Band umfasst eine Einleitung (Documenta; S. 1–5), in der der Verfasser Grundsätze des Lateinunterrichts und die Rolle der Grammatik formuliert: Die lateinische Sprache lerne man nicht anhand grammatischer Regeln, sondern durch die Lektüre lateinischer Originaltexte; Ziel des Grammatikunterrichts sei lediglich, das dabei Gelernte zu festigen (S. 1). Es folgt eine Beschreibung des idealen Unterrichts für einen jungen Fürsten: Betont wird die Bedeutung aktiver Sprachanwendung („Loquatur Latinè cum Præceptore & Condiscipulis“; S. 2) und ein dem Lernstand angemessenes Lektürepensum („Pauca ex Authoribus simul legenda; non plura quàm ipsa Latinæ linguæ permittat cognitio; hac verò crescente, crescat & ipsum temporis successu lectionis quotidianae pensum“; S. 3). Ferner wird ein idealer Tages- und Wochenablauf beschrieben: Die Vormittage dienen der memoria (wohl dem Lernen von Vokabeln und grammatischen Regeln), die Nachmittage der Stilistik und die Abende der Rekapitulation. Der Mittwoch und der Sonnabend dienen der Wiederholung des an den vorangegangenen zwei Tagen Gelernten (S. 3f.). Die Auswahl der gelesenen Autoren müsse sich an sprachlich-stilistischen wie auch moralischen Kriterien orientieren, dabei aber auch abwechslungsreich sein (S. 4f.). Es folgt im Hauptteil (S. 6–46) eine kurze Darstellung der lateinischen Morphologie, Formenlehre (mit Übersichtstabellen) und Syntax, letzteres immer mit einem Beispielzitat aus den antiken Originalautoren (v. a. Cicero, Terenz, Horaz, Vergil und Ovid), damit die jeweiligen Regeln dem eingangs formulierten Prinzip gemäß nicht nur abstrakt, sondern auch anhand eines konkreten Beispiels memoriert werden.
Weitere Umwidmungen dieser Grammatik konnten bislang nicht ermittelt werden, und auch die vorliegende Ausgabe ist nur in diesem Exemplar erhalten. Das erworbene Exemplar hat ferner eine interessante Provenienz: Laut einem handschriftlichen Besitzvermerk auf dem Titelblatt hat es seit 1663 dem Theologen Franz Josef Garzaroll von Garzarollshoff gehört, der neben anderen Ämtern 1690–1691 Rektor der Universität Wien war (vgl. Die Gedächtnistafeln der Wiener Universitäts-Rectoren 1365–1893, Wien 1893, S. 27).
(Gastbeitrag von Henning Ohst, Wolfenbüttel)