Ausgewählte Erwerbungen der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
(1601 - 1700)
Hannah Woolley: Frauen-Zimmers Zeit-Vertreib Oder Reiches Gemach von außerlesenen Experimenten und Curiositäten bestehend in einen neuen Vollkommenen Koch-Buch/ Zeigend die rechte Art und Weise/ wie man allerhand Fleisch/ Fische und Geflügel künstlich zubereiten konne/ sampt einer Präservier- und Candir-Kunst ... Dazu auch angehänget ist eine kleine Frauenzim[m]ers Apotheke. Anfänglich in Englischer Sprach beschrieben Von Anna Wolly, Jetzo aber den Teutschen Frauen-Zimmer zu Nutzen in ihre Sprache versetzet und viel vermehret. Vierte Druck. Hamburg: Bey Benjamin Schiller im Dohm 1697. VD17 23:758735U.
Erworben von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Signatur Xb 12° 615
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Ein Exemplar der bislang unbekannten vierten Auflage dieses aus dem Englischen übersetzten Koch-, Kandier- und Arzneibuchs konnte für die Sammlung Deutscher Drucke erworben werden. Es stammt aus der 1970 aufgelösten Städtischen Bibliothek in Langensalza. Die Verfasserin Hannah Woolley (um 1622–1674 oder später) gelangte im England des späten 17. Jahrhunderts zu einiger Berühmtheit. Ihre Werke wurden vielfach aufgelegt und sogar weitere Schriften in ihrem Namen veröffentlicht. Woolleys Werk geht weit über das Kochen und Kandieren hinaus, es betrifft die Haushaltsführung im weitesten Sinne, wozu auch angewandte Medizin, Kosmetik, soziales Miteinander und moralisches Verhalten gehören. Auch zu Spezialgebieten wie dem Briefeschreiben, der Blumenzucht oder der Ikonographie mythologischer Figuren unterbreitet sie Ratschläge, die die Lebenspraxis zeitgenössischer Frauen unterstützen sollen. Woolley gibt bereitwillig Hinweise zu ihren eigenen Lebensumständen und präsentiert sich als eine Art Selfmade-Frau, die ihre vielseitigen Fähigkeiten einsetzte, um ein gesichertes bürgerliches Dasein zu fristen. Nach dem frühen Verlust ihrer Eltern konnte sie sich im Dienst einer adeligen Frau Kenntnisse in der Haushaltung sowie der Medizin und Pharmazie aneignen. 1646 heiratete sie Jerome Woolley, den Leiter einer Grammatikschule in Newport, mit dem sie eine weitere Schule in Hackney (heute London) gründete, und der 1661 starb. Ihre 1666 geschlossene weitere Ehe dauerte nur drei Jahre. Woolley bestritt ihren Lebensunterhalt als Witwe durch Publikationstätigkeit und Unterricht. Ihre Adressatinnen sind Frauen aller Stände, sowohl einfache Dienstmädchen als auch Adelige, die wie sie schreibt zu ihrer Zeit häufig in Not geraten. Entschieden wendet sie sich gegen den Ausschluss der Frauen von der Bildung und empfiehlt ihren Leserinnen sogar das Studium des Lateinischen, das ihre Ausdrucksfähigkeit im Englischen verbessern soll.
Die deutsche Übersetzung erschien erstmals 1674 beim Buchhändler und Verleger Gottfried Schulze in Hamburg. Wie dessen Buchhandelskatalog (Teil 4, 1672) zeigt, hatte er eine große Auswahl aktueller englischer Titel in seinem Sortiment. Er verlegte zudem auch andere Ratgeberliteratur sowie zahlreiche Alchemica. Frauenzimmmers Zeitvertreib ist die einzige bekannte Übersetzung von Werken Woolleys in eine andere Sprache. Die schnelle Aufnahme zeugt vom regen Kulturtransfer zwischen England und Hamburg. Die jetzt erworbene vierte Auflage verlegte Benjamin Schiller, der Schulzes Witwe heiratete und dessen Geschäft weiterführte.
Der Textvergleich zeigt, dass die deutsche Ausgabe nicht wie allgemein angenommen eine Übersetzung von Wolleys The Queen-like Closet (erstm. London 1670) ist. Stattdessen kombiniert die Übersetzung drei separat erschienene Werke Woolleys: Der erste Teil, Der Vollkommene Koch (S. 7–113), ist eine Übersetzung von Woolleys The cook's guide (1664). Die folgende Praeservir- und Candir-Kunst (neue Paginierung, 138 S.) hat als Vorlage The ladies directory in choice experiments & curiosities (1672). Die angehängte Frauen-Zimmers Apothecke (neue Paginierung, 41 S.) erschien im Original in der Schrift The ladies delight (1672) auf S. 259–291. Die deutsche Vorrede entstammt dem in der Mitte publizierten Kandierbuch The ladies directory, wurde aber um den Hinweis auf ein geplantes Buch zur Kochkunst gekürzt. Das Frontispiz der deutschen Übersetzung ist eine freie, qualitativ eher höherwertige, Nachbildung dieser Vorlage.