Ausgewählte Erwerbungen der Bayerischen Staatsbibliothek München
(1450 - 1600)
Ein newes Lied, von einem Erschröcklichen Wunderzeichen, welches gesehen ist worden, vnd sich zugetragen hat in Reussen, bey dem Schloß Rosenstein, Im Jahr M.D.L.XXXX . Danzig, Jakob Rhode, [1590]. – Titelholzschnitt.
(Erworben von der Bayerischen Staatsbibliothek München, Signatur: Res/P.o.germ. 2107 u)
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Die Publikation von Flugschriften im 16. Jahrhundert diente nicht nur der Verbreitung von Nachrichten und Neuigkeiten, sondern auch von Berichten über allerlei „erschröckliche“ Phänomene, Himmelszeichen, Geistererscheinungen oder weitere außergewöhnliche oder gar übernatürliche „Zeichen“.
Die vorliegende unikale Flugschrift, die bislang weltweit und nicht im VD 16 nachgewiesen war, wurde im Jahr 1590 in der Danziger Offizin von Jakob Rhode gedruckt. In Reimen wird darin über die Auferstehung zahlreicher Untoter auf dem Kirchfriedhof der Gemeinde Reussen (Rús) in Ermland-Masuren berichtet. Das Gebiet um Ermland-Masuren befand sich im 16. Jahrhundert im Spannungsfeld der Auseinandersetzungen mit dem Deutschorden und der einhergehenden Umwandlung des Ordensstaates in das Herzogtum Preußen (1525). Masuren wurde ein Teil Preußens und damit protestantisch, wohingegen das Fürstbistum Ermland katholisch und bis zur ersten polnischen Teilung 1772 unter polnischer Oberhoheit bliebt.
Die Flugschrift beginnt und endet mit einem Aufruf, sich von den Sünden abzukehren und Buße zu tun. Die Zerstörung einer Kirche durch die „Moscowitter“ wird zum Anlass genommen, um von „Gottes Wunder“ zu berichten. Angekündigt wird dieses „erschröckliche Wunderzeichen“ durch Gesang in der nahe am Schloss gelegenen Kirche „so schön lieblicher Art, das man niemals dergleichen, kein süsser Gesang gehört.“ Als der Schlossherr und seine Dienerschaft dieser Erscheinung auf den Grund gehen wollen, entdecken sie auf dem Kirchfriedhof die geöffneten Gräber und zahlreiche Tote singend in der Kirche, die der verängstigten Zuhörerschaft „mit gantz schrecklichen worten“ verkünden, dass der Tag des Herrn käme, an dem die Toten erlöst würden: „Drumb wöllet euch bekehren, rieffen sie all zugleich, Ehe kömpt der tag des heren, solchs Wunder nicht schweigt, thuts jederman verkündigen,von Sünden abzustahn, die Toden theten verschwinden, zur stund vor jederman.“
Diese Ermahnung zur Buße und Abkehr von den Sünden wird untermalt durch den Titelholzschnitt, der neben der Darstellung geöffneter Gräber, einen Blutmond, zwei Regenbogen sowie „zwey Gesicht“ mit zwei Posaunen illustriert, die an das Jüngste Gericht gemahnen: „Das wir uns wöllen bekeren, von Sünden Jung und Alt, Auff das der Tag des herren, uns nicht bald uberfält“.